Zur Bergbaugeschichte des Sankt Andreasberger Reviers
Ob es in Sankt Andreasberg bereits im Mittelalter bergbauliche Aktivitäten gegeben hat, ist spekulativ. Lediglich für das Odertaler Revier (östlich von Sankt Andreasberg) kann dieses in Betracht kommen. Die erste urkundliche Erwähnung des Bergbaus am "andrew berge" liegt aus dem Jahre 1487 vor. So konnte 1987 das 500jährige Bestehen der Bergstadt feierlich begangen werden.
Ein andauernder Bergbaubetrieb entwickelte sich erst rund 30 Jahre später, als 1520 "in einer Klippe am Beerberge ein handbreiter Gang mit Glanzertz und reichhaltigen Nestern Rotgülden angeschlagen ward", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Als diese ersten lohnende Silberfunde zukünftigen "Bergsegen" versprachen, erließen die Hohnsteiner Grafen für ihr Territorium nach sächsischem Vorbild eine Bergfreiheit (1521, wiederholt 1527), um Fachkräfte ins Land zu holen. Die Nachricht von den neu entdeckten Silbererzgänge führte bald zu einer regen Einwanderung von Bergleuten aus dem sächsischen und böhmischen Erzgebirge, z.B. aus Sankt Joachimsthal (heute Jachymov), wo der Bergbau damals in einer Krise steckte. Das "große Berggeschrei", wie man zeitgenössisch die Nachricht von bedeutenden Silberfunden nannte, zog nun scharenweise Menschen in die rauhe Wildnis der Berge, wo zunächst ziemlich planlos geschürft wurde. Das was sich dort damals abspielte, läßt sich wohl am treffendsten mit dem Wort Silberrausch beschreiben. Bei den vielen kleinen Zechen "oben auf dem Berg" gab es nur kleine primitive Behausungen. Wohnsitz der Bergbevölkerung, wie auch Sitz der Verwaltung war zunächst der nahe am Harzrand gelegene Flecken Lauterberg.
Mit dem Erlass einer Bergordnung (1528), die den Betrieb der Gruben rechtlich regelte und der Einrichtung eines Bergamtes als Aufsichtsbehörde gerieten Leben und Arbeit in geordnete Bahnen. Es begann eine lange, sehr wechselvolle Montangeschichte, in deren Mittelpunkt stets das begehrte Münzmetall Silber stand. Direkt bei den Gruben entstand eine feste Siedlung, benannt nach dem heiligen Andreas, dem Schutzpatron der Mansfelder Bergleute. 1537 erhielt sie Stadtrechte und wurde bekannt als eine der sieben freien Oberharzer Bergstädte. Wenige Jahre später umfasste der Ort bereits 300 Häuser, gleichzeitig standen 116 Zechen im Betrieb.
Koch Riss - St. Andreasberg 1606
Um 1570, als der Silberbergbau seine erste große Blütezeit
erlebte, wohnten 7000-8000 Menschen in der Bergstadt. Die Gruben wurden
von Gewerkschaften betrieben. Das Kapital kam von privaten Investoren
etwa aus Halberstadt, Hildesheim, Magdeburg, Lüneburg, Leipzig und
Hamburg, die sich vom Silberbergbau hohe Renditen versprachen. Den
reichen Anbrüchen auf den steil einfallenden Erzgängen folgend, hatten
einige Schächte Ende des 16. Jahrhunderts bereits Tiefen von 80-100 m
erreicht. Zur Ableitung der zufließenden Grundwässer wurden von den
Tälern her frühzeitig Stollen in Angriff genommen, die auch zur
Erkundung der Erzgänge dienten:
- St. Johannes Stollen: 1529 im Wäschegrund angesetzt; Gesamtlänge etwa 1450 m
(auf Morgenröther-, Jacobsglücker-, und Reiche Troster Gang) - Edelleuter Stollen: 1534 im Wäschegrund angesetzt;
Gesamtlänge etwa 1760 m
(auf Edelleuter-, Andreaskreuzer-, und Morgenröther Gang) - St. Jacobsglücker Stollen: um 1534 am Beerberg angesetzt, Gesamtlänge ca. 1000 m
(auf Jacobsglücker- und Reiche Troster Gang) - St. Annen Stollen: um 1533 am Beerberg angesetzt, Gesamtlänge etwa 530 m
(auf Reiche Troster- und Redensglücker Gang) - Spötter Stollen: 1536 im Samsoner Grund angesetzt; Gesamtlänge 1280 m
(auf Felicitaser-, Gnade Gotteser- und Samsoner Gang) - Fürstenstollen: um 1533 im Andreasberger Tal angesetzt,
Gesamtlänge 500 m
(auf Felicitaser- und Gnade Gotteser Gang)
Unterhalb dieser Stollen setzten Wasserschwierigkeiten dem weiteren Vordringen des Bergbaus bald ein Ende. Zum effektiven Betrieb von Pumpenkünsten fehlte es an genügend Aufschlagwassern. (siehe Wasserwirtschaft)
Angesicht nachlassender Ausbeuten zogen viele Kapitalgeber ihr Geld ab. Eine Zeche nach der anderen wurde aufgelassen. Die Bergleute, die nun vielfach ohne Arbeit dastanden, "verliefen sich" wieder, d. h. sie zogen fort in andere Bergbaureviere. Schon 1575 erzielten von den 39 hier bauenden Gruben nur noch 2 einen überschuss. Elend und Not prägten Ende des 16. Jahrhunderts das Leben in der Bergstadt. 1577 und 1596 dezimierten Pestepidemien die schlecht ernährte Bevölkerung auf weniger als 2000 Seelen. Als der 30-jährige Krieg in den 1620er Jahren den Harz erreichte, lagen bereits alle Gruben brach. Mehr schlecht als recht lebten die Menschen von Waldarbeit, Köhlerei oder Holzhandwerk. Einige versuchten ihr Glück als Eisensteiner auf den Gruben im oberen Siebertal. Allein aus dieser ersten Betriebsperiode, die von 1520 bis 1620 dauerte, sind die Namen von 267 Gruben überliefert!
Nach dem 30-jährigen Krieg war die Bevölkerung auf dem Harz stark dezimiert. Zur Belebung des Bergbaus fehlte es außer an Arbeitskräften auch am notwendigen Kapital. Während sich der westliche Oberharz (Clausthaler Revier) bereits um 1660 erholt hatte, kam der Sankt Andreasberger Silberbergbaus nur sehr zögerlich wieder in Gang. Trotz zahlreicher Versuche sowohl seitens der Stadtverwaltung als auch seitens des Landesherrn und privater Investoren, dauerte es noch rund 30 Jahre, bis wieder ein kontinuierlicher Grubenbetrieb zu Stande kam. Der unweit vom Marktplatz liegende König Ludwig, war die erste Grube, die 1674 --- nach einer Stagnationszeit von fast 60 Jahren --- wieder einen überschuss erwirtschaftete und an die Gewerken Ausbeute verteilte. Aus diesem Anlass wurde ein neuer Andreastaler mit der Umschrift "St. Andreas reviviscens" geprägt. Zwischen 1695 und etwa 1730 erlebte der Bergbau eine zweite Blütezeit, die mit einer Jahresproduktion von durchschnittlich 0,9 t Silber die erste noch übertraf. Es standen etwa 25 größere Gruben, alles Schachtbetriebe, über längere Zeiten kontinuierlich in Abbau.
Obwohl die Gruben formal den Gewerken gehörten, lag die Betriebsführung jetzt allein in den Händen des kurfürstlich-hannoverschen Bergamtes in Clausthal. Seit 1663 unterhielt die Herrschaft in Sankt Andreasberg eine Außenstelle ("Unterbergamt"), das mit einem Vizebergmeister, einem Bergschreiber und einigen Geschworenen besetzt war. Die straffe Organisation des Berg- und Hüttenwesens, ebnete den Weg für stärkere Investitionen des Staates. Nur so konnten aufwendige, für die Weiterentwicklung des Bergbaus, dessen einzige Hoffnung in der Tiefe lag, unverzichtbare Maßnahmen, wie der Bau eines tiefen Erbstollens (Grünhirscher Stollen) oder die Verbesserung Betriebswasserversorgung (Rehberger Graben und Oderteich), überhaupt bestritten werden. Im Jahr 1724, als die Bergbauwirtschaft ihren Höhepunkt erreichte, lieferte das Revier fast 2.000 kg Silber und schüttete rund 30.000 Taler Ausbeute aus. In Sankt Andreasberg waren damals rund 480 Berg- und Hüttenleute sowie 200 Pochkinder beschäftigt.
Mit dem 1716 im Siebertal bei Königshof angesetzten, unter dem Sieberberg durchgetriebenen Sieberstollen, der im Revier 60 m mehr Teufe als der bisherige Erbstollen einbrachte, konnte die Wasserhaltung entscheidend verbessert werden. Nach einer Bauzeit von 39 Jahren erreichte das rund 4 km lange Stollenort 1755 die Gruben Samson und Catharina Neufang.
Nach 1730 ließ der Silbersegen wieder nach. Einige der bis dahin sehr erfolgreichen Gruben, wie z.B. der dem König Ludwig benachbarte St. Andreas, mussten wegen zu großer, nicht mehr beherrschbarer Schachttiefe (immerhin mehr als 500 m!) um 1740 eingestellt werden. Die meisten Gruben konnten sich finanziell selbst nicht mehr tragen. Um den Bergbau nicht "über den Haufen" gehen zu lassen, wurde dieser mit Mitteln aus der Clausthaler Bergbaukasse und der Zehntkasse stark subventioniert. Abgesehen von Waldarbeit, Köhlerei und Wegebau gab es keine anderen Arbeitsmöglichkeiten in dieser Region.
Durch den Siebenjährigen Krieg (1756-1763), der französische Besatzung, hohe Kriegssteuern und Inflation mit sich brachte, spitzte sich die Lage des "Harzhaushaltes" weiter zu. Die Zahl der auf den Silbergruben beschäftigten Bergleute sank von 480 (1730) auf weniger als 200 (1762). Um die Menschen nicht verhungern zu lassen, förderte die Bergbehörde auf Kosten der öffentlichen Kassen durchgeführte "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen", um nach neuen Erzmitteln zu suchen; was auf dem "Inwendigen Zug" schließlich auch gelang. Nach der 1814 endenden krisengeplagten napoleonischen Zeit setzte nochmals ein kurzer steiler Aufschwung ein. Nachdem um 1820 die letzten Gruben am Beerberg ("Auswendiger Zug") eingestellt worden waren, konzentrierte sich die Erzgewinnung nur noch auf wenige Gruben im Inwendigen Zug, nämlich Samson, Catharina Neufang, Gnade Gottes, Bergmannstrost, Abendröthe und St. Andreaskreuz.
In den Jahren 1822-24 erreichte die Sankt Andreasberger Silberproduktion mit etwa 3 t jährlich ihr absolutes Maximum. Danach gingen die Erträge unaufhaltsam zurück. Verschiedene technische Neuerungen, wie Fahrkunst (1837 im Samson eingebaut), Drahtseil (nach 1834) und bessere Sprengmittel oder die Zusammenlegung mehrerer kleiner Gruben zu größeren Betriebseinheiten brachten nur kurzfristig kleine Aufschwünge und änderten nichts am generellen Produktionsrückgang. Erst um 1850 wurde die Erzgewinnung vom Strossenbau auf den Firstenbau umgestellt, hierdurch steigerte sich die Abbauleistung auf 70-80 kg Roherz pro Mann und Schicht (in Clausthal bei allerdings ganz anderen Gangverhältnissen betrug diese Leistung damals bereits das Doppelte!). Zwar konnten nun größere Mengen der noch anstehenden silberarmen Bleierze mit Vorteil gewonnen werden, doch zur Auffindung der sehr absetzigen Silberreicherzfälle erwies sich die Vorrichtung mit Feldörtern und Absinken als zu grobes Raster! Einem zunehmend verfallenden Silberpreis hatten die extrem tiefen Bergwerke nichts entgegen zu setzen. Die Gewinnungskosten blieben unverändert hoch, so dass das Bergwerk immer stärker in die roten Zahlen geriet.
Nach der 1866 erfolgten Annektion Hannovers durch Preußen fielen die letzten Sankt Andreasberger Gruben an den preußischen Fiskus. Damit vollzog sich 1867 eine völlige Neuorganisation des Bergbaus. Als Staatsbetrieb unterstand das als "Vereinigte Gruben Samson" zusammengeschlossen Bergwerk nun einer Berginspektion. Der Staat behielt damit lediglich den "Inwendigen Zug" als ein fiskalisches Grubenfeld mit den Schächten Samson, Catharina Neufang, Gnade Gottes und Bergmannstrost. Es erfolgte zunächst eine "Gesundschrumpfung", wobei die Beschäftigtenzahl von 800 um 1860 unter hannoverscher Hoheit auf 290 (1870) sanken. Der östlich daran angrenzende bereits eingestellte "Auswendige Zug" wurde unter dem Namen "Andreasberger Hoffnung" von einer Privatgesellschaft neu gemutet und in Betrieb genommen. Allerdings blieb dort der Abbau im Bereich des Neuen Glückaufer und Claus Friedricher Ganges (Beerberger Stollen) bedeutungslos und wurde 1897 wieder eingestellt.
Fallende Silberpreise, schlechte Aufschlüsse und Jahre großen Wassermangels bedrohten ständig die Existenz der Grube. Anlass zu neuen Hoffnungen gaben bald einige größere Reicherzfälle, die 1888 erschlossen wurden. Gleichzeitig versuchte man durch Einführung des maschinellen Bohrens (1889) und dem Bau einer neuen Zentralen Erzwäsche (Aufbereitung) in unmittelbarer Nähe des Samsons nun auch die vorhandenen Armerze kostengünstig gewinnen und verarbeiten zu können. Trotz dieser erheblichen Investitionen ließ sich der Niedergang nicht aufhalten. Seit 1877 mußten zur Kapazitätsausnutzung der Silberhütte immer mehr Importerze eingesetzt werden.
Am 31. März 1910 wurde schließlich die letzte Schicht auf der Grube Samson verfahren, die Belegschaft war zuletzt nur noch 80 Mann stark. Zwei Jahre später mußte auch die ebenfalls unrentable Silberhütte stillgelegt werden. Damit endete der Andreasberger Silberbergbau nach 420 Betriebsjahren.
Abgesehen von den meist zugewachsenen oder überbauten Halden erinnert über Tage heute kaum etwas daran, dass es in diesem, mit einer Fläche von etwa 2,5 km2 relativ kleinen Revier einst an die 300 Silberzechen gegeben hat. Unter der Bergstadt erstreckt sich eine labyrinthartige Unterwelt, die "Dank des festen Gesteins" auch nach vielen hundert Jahren weitgehend offensteht. Dies zumindest oberhalb der Sieberstollensohle, denn alle darunter liegenden Baue stehen seit Abschalten der Pumpen, vermutlich bis in alle Ewigkeit unter Wasser! Die Strecken des "alten Mannes" weisen zusammengerechnet eine Gesamtlänge Länge von 70-80 km auf. Der tiefste Abbaupunkt im Revier auf dem Samsoner Gang befand sich 810 m unter Tage.